An Epilogue


Chapter:
The Book (1999) / Epilogue



Das Bild einer Galaxie

Das Denken befreien durch Demut

Im Kopf eines jeden Menschen ist Raum genug für ein ganzes Universum voller Ideen und Gefühle. Leider werden die meisten von uns so erzogen, dass sie ihr ganzes Leben nur um eine Sonne kreisen.

Wilfried Kunz


Im Kopf eines jeden Menschen ist Raum genug für ein ganzes Universum voller Ideen und Gefühle... Aber, wie passt das zum Thema?  Sicherlich ist das, was diese Internetseiten - und auch das Buch - zeigen, anders als das, was die meisten Menschen unter "Vergangenheitsbewältigung" verstehen.  "Vergangenheitsbewältigung" - bei dem Wort entsteht in mir das Gefühl, als wolle man Vergangenheit mit Gewalt hinter sich bringen.  Das erinnert an die Berliner Mahnmal-Debatte... (Anmerkung: gemeint ist die Debatte Ende der 1990'er Jahre um das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin, das später durch eine politische Entscheidung realisiert wurde).

Es gibt andere Wege.  Mein Versuch war es, den Rahmen, in dem die Berliner Mahnmaldebatte stattfand, zu verlassen, um Raum in einem übergeordneten größeren Rahmen zu finden.  Die Sonnen, um die wir uns drehen, bleiben von Weitem betrachtet eben nicht mehr unsere "Götter", sondern stellen sich als kleiner Teil eines ganzen großen unermeßlichen Universums heraus, oft als "goldene Kälber" oder sogar als Wahn.  Glaubten nicht auch die meisten Täter im Dritten Reich, die für Verfolgung und Tod verantwortlich waren, an das, was sie taten?  Sie drehten sich um "ihre Sonne" (Hitler, Machtsucht...) und lebten in ihrer verdrehten Wirklichkeit.  Was kann es uns aber nun ermöglichen, der Illusionen, die uns in Wahrheit gefangen halten, bewusst zu werden? Der erste und wichtigste Schritt ist unternommen, wenn man um die immer vorhandene Möglichkeit der eigenen Verblendung und Verirrung weiß und ehrlich nach Selbsterkenntnis strebt.  So wird man Freiheit finden können: Das Denken befreien wollen durch die Demut, die auch immer um den unschätzbaren Wert des Lebens weiß.  Sich von den Erstarrungen lösen und beginnen, sich der Fülle des Lebens zu öffnen - beginnen, das Leben wirklich zu würdigen.

"Einen Schritt weitergehen" - so heißt es in meiner Erklärung zur Mahnmal-Gestaltung. Einen Schritt weiter auf dem sicherlich langen und schwierigen, aber so notwendigen Weg der Versöhnung.



Werdet wie die Kinder


Offenheit für Neues

Ein Mensch kann nur das erkennen, von was er weiß. Die Reize und Informationen der Umwelt sprechen vorhandene Bilder im Geiste des Menschen an. Er wird nur die Dinge verstehen, von denen er Bilder in sich trägt. Deshalb kann man sagen, dass jeder Mensch in seiner eigenen Welt lebt, da er seine eigenen Bilder und Erfahrungen besitzt. Aus diesem Grunde kann ich auch bei meiner Denkmal-Gestaltung nicht erwarten, dass sie - trotz ihrer einfach scheinenden Form - sogleich von jedem verstanden wird. Dafür müssten die Bilder im Kopf des Betrachters, die es anspricht, bereits vorhanden sein. Vielmehr ist das Denkmal ein Ansporn und kann Neugierde wecken, sich den Bildern des Herzens wieder neu zu öffnen, den Mut für den Erkenntnisprozess zu haben: Das ist die Bedeutung der Symbolik, dass der Baum des Lebens sich im Zentrum vom Baum der Erkenntnis befindet. Gerade durch die innere Motivation zur Beschäftigung mit dem Denkmal, d. h. durch den Wunsch, die Bedeutung zu verstehen, kann ein neues friedvolles und lebensförderndes Denken ins bewusstsein gelangen. Anders ausgedrückt: Würde jeder gleich die Bedeutung des Denkmalserkennen, dann wäre es überflüssig, denn es soll mehr sein als eine architektonische Gestaltung: Es soll die Menschen bewegen und gesunde Veränderungen in der Gesellschaft unterstützen.

Hier offenbart sich nun eine weitere Bedeutungsebene, die sich in dem Bild der Denkmalgestaltung mit seinem Kreis und dem weiten äußeren Platz verbirgt: Man kann sagen, dass sich der Mensch im Umfeld seiner Erfahrung bewegt. Die Folgerungen die ein Mensch in diesem Umfeld macht und die Urteile, die er trifft, erscheinen ihm absolut schlüssig. Dafür tötet er sogar. Aufgabe der Kultur soll sein, dem Einzelnen die Fähigkeit zu vermitteln, über diesen Erfahrungsraum hinaus in seine Mitte zu gehen, d. h. nicht mehr Gefangener seiner Projektionen zu sein, sondern aus der Mitte, bzw. von oben aus einer "Vogelperspektive" sich selber betrachtend zu erkennen. So erhielte man eine immer weitere Perspektive - man würde weiser.

Wie kann hier der Aufruf von Jesus: "Werdet wie die Kinder!" ins Bild passen? Ein Kind, das geboren wird, kann noch nicht "sehen", da es die Formen und Farben, die es wahrnimmt, noch keinen Vorstellungen zuordnen kann. Ganz natürlich hat es aber Neugierde und den Drang zu lernen und sich eine neue Welt von Vorstellungen zu erschließen. "Werdet wie die Kinder!" heißt hier, nicht vorher schon zu verurteilen, was man nur meint zu kennen, wie es so oft beim älteren Menschen üblich ist. Es bedeutet noch wirklich hinzuschauen und den Wagemut, die Demut und Offenheit für neue Erkenntnisse zu haben. Es ist die Voraussetzung, seinen Erkenntnisraum zu erweitern, sich von seinen "Sonnen", "goldenen Kälbern", Illusionen zu lösen. So gesehen ist, den Geist eines Kindes zu haben, die Voraussetzung, um erwachsener werden zu können.


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